Die populärsten Politiker-Lügen

1. Die Renten sind sicher

Natürlich sind die Renten nicht sicher. Wie kann man einen solchen Quatsch von sich geben? Bei immer mehr Menschen, die sich immer länger von immer weniger Erwerbstätigen aushalten lassen wollen, kann die Rente nicht sicher sein. Und vor allem: sie darf es auch nicht! Mag das Bundesverfassungsgericht auch die Ansicht vertreten, Rentenansprüche seien quasi Eigentum und daher unverletzlich, sollten wir auf dem Boden der Realität doch in der Lage sein, die Alten-Alimentierung nach dem zu bestimmen, was möglich ist, und nicht nach dem, was sich die Müßiggänger wünschen. Das ist keine „Kampfansage“ und keine „Aufkündigung des Generationenvertrags“, sondern „Sicherung des sozialen Friedens“ – um im Politiker-Jargon zu sprechen.

2. Die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen ist die wichtigste Aufgabe der Politik

Arbeitslosigkeit ist der Politiker liebstes Debattier-Thema. Denn es ist wunderbar abstrakt, man kann jeden beliebigen Senf dazu geben und man muss niemals Erfolge vorweisen, sondern kann sich fortlaufend gegenseitig Versagen vorwerfen. Es ist geradezu ein Selbsterhaltungstrieb der Politik, Arbeitslosigkeit auf einem als bedrohlich empfundenen Niveau zu halten. Wie bei jeder Droge muss auch hier die Dosis kontinuierlich erhöht werden.

Mitte der 70er Jahre fand man 500.000 Arbeitslose einen Skandal. Heute operieren wir mit Millionen.

Tatsächlich ist der Aktionismus, über den Politiker streiten, nicht im Geringsten geeignet, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen: Arbeitsverbote für Ausländer, Ausbildungspflicht für Unternehmer, Strafabgaben für zu wenig Schwerbehinderte im Betrieb… Und in Wahrheit wollen wir doch gar nicht Arbeit für alle um jeden Preis! Fakt ist: wir gehen lieber in den Selbstbedienungs-Bäckerladen und kaufen günstige Brötchen, als für den doppelten Preis einer unfreundlichen Lebensmittelfachverkäuferin den Job zu sichern. Wir freuen uns über niedrigere Buchungsgebühren beim Online-Banking und verzichten auf die süße Sparkassenfachwirtin in der marmornen Schalterhalle.

Es ist doch gewaltig banal: Überflüssige Jobs braucht niemand, will niemand. Entweder haben uns also die 4,3 Millionen Arbeitslosen etwas zu bieten, was uns bisher fehlt – und wir verteilen dabei unsere Budget nicht einfach vom Last-Minute-Urlaub zum Hausmasseure um, sondern wir investieren die Milliarden Euro der Bundesanstalt für Arbeit z.B. in Jobs der Altenpflege, Kinderbetreuung, Straßenmusik oder was wir sonst gern hätten  – oder aber wir akzeptieren, dass es für diese Arbeitslosen keinen Job auf dem Markt gibt, weil wir diese Jobs nicht nachfragen.

Natürlich können Politiker die berühmten „Rahmenbedingungen“ gestalten, aber sie schaffen damit keine Jobs – es sei denn, sie finanzieren sie, und dann mit unserem Geld. Das muss klar sein, und dann kann man die Millionen Arbeitslosen auch von heute auf morgen beschäftigen – nur: wer will das? Eben, und deshalb tut sich auch nichts, über Jahrzehnte des Lamentierens hinweg.

3. Der Staat sorgt sich um das Wohl seiner Bürger

Das wüssten wir aber! Erinnert sich irgendjemand an irgendein Politiker-Wort zur Zufriedenheit? Ist schon jemals ein Politiker zu der Einsicht gekommen, dass von Krankheit, Liebeskummer und Scheiß-Wetter abgesehen alle Unzufriedenheit hausgemacht ist, keine Herausforderung für die Politik, sondern deren Ergebnis ist? Durch hunderttausend Gesetze und Vorschriften!

Wenn der überschuldete Familienvater sich und seine Familie auslöscht, dann hatte er nicht nur einfach einen Knall: dann gehörte er zur Spitze dieses eisigen Unzufriedenheitsbergs, zu diesem kleinen sichtbaren Teil totaler Verzweiflung, bereitet von unseren Politikern!

Uns nervt das Finanzamt, der Solidaritätszuschlag und die Mehrwertsteuer, die Krankenkasse, das Knöllchen fürs Falschparken, das Pisa-Ergebnis, die fehlenden Spielplätze, der bürokratische Aufwand für eine Baugenehmigung.

All das aber haben Politiker verbockt! Gott bewahre uns vor dieser Art staatlicher Sorge um unser Wohl!

4. „Der Wähler hat entschieden“

Leider nie. Das einzig wirkliche Votum ist das der Nicht-Wähler. Abgesehen von den wenigen unter ihnen, die schlicht und ergreifend zu dusselig für alles sind, treffen sie eine klare Entscheidung: Was mir politisch angeboten wird, taugt nicht.

Wer zur Wahl geht, entscheidet nicht über irgendetwas, sondern nur über eine Machtverteilung im Parlament. Er hat keinen Einfluss auf die Politik, nicht einmal auf die Kandidatenliste der Parteien.

5. Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft

Je nach Laune wird damit das „Soziale“, also die Regulierung, oder der „Markt“, also der Kampf legitimiert. Doch wir haben keine Marktwirtschaft – alles ist staatlich reglementiert: Öffnungs- und Beschäftigungszeiten, Preisbindungen, Verpackungsverordnungen, Handwerksinnungen, Mindestlohngesetz, Arbeitsverbote – das bürokratische Elend ist unendlich.  Sozial wird damit leider trotzdem nichts: Wer diesen extrem regulierten Markt nicht überlebt, hat Pech gehabt – Solidarität gleich null.

Und gerade bastelte EU-Kommissarin Anna Diamantopoulou an der Verpflichtung, Frauen und Männer bei Versicherungen gleich zu behandeln: Mit einer Richtlinie will sie nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Biologie auf den Kopf stellen: Obwohl Frauen deutlich länger leben als Männer, sollen sie die gleichen Beiträge für Lebensversicherungen oder Krankenkassen zahlen. Soviel zum Markt.

6. Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit – oder auch: „Wir sind freie Bürger in einem freien Land“

Es geht nicht nur um das „Recht auf Rausch“, das man als freier Bürger haben sollte. Sie sind hier so frei, dass Sie nicht einmal über Ihr eigenes Ableben bestimmen dürfen. Ganz zu schweigen von Entmündigungen, Enteignungen, Untersuchungshaft (für jede Bagatell-Ermittlung), Lauschangriff, Telefon- und E-Mail-Überwachung u.v.m. Und versuchen Sie niemals, irgendwem Ihre Meinung zu sagen – schon der falsche Blick kann Ihnen einen Strafprozess wegen Beleidigung einbringen.

Die Bundesländer sind zwar gerade mit der Idee gescheitert, Handwerker zur Mithilfe beim Lauschangriff zu verpflichten, aber die Idee haben sie nun mal gesponnen. Doch für jeden Vergleich mit der Stasi gibt es eine Anklage wegen Volksverhetzung (dafür reichen in diesem freien Land übrigens schon Feuerzeuge mit der Abbildung einstürzender Twin-Towers).

7. Keine Ahnung

Die allgegenwärtigste Lüge unserer Politiker ist, etwas nicht zu wissen. Denn wenn die wahre Antwort auch nicht immer lauten müsste: „Wir wissen es, sagen es euch aber nicht“, dann doch wenigstens: „Wir könnten es, wollen es aber nicht wissen.“

Vorgetragen wird die Lüge dann auch eleganterweise ganz überwiegend von den Herolden der Politiker: den Pressesprechern.

Es ist das triste Alltagsgeschäft der Journalisten, Pressestellen von Ministerien und anderen Behörden etwas zu fragen und keine brauchbare Antwort zu bekommen. Der gesetzliche Auskunftsanspruch kann mit nichts so einfach ausgehebelt werden wie mit vorgeblicher oder vorsätzlicher Ahnungslosigkeit.

Wer sich als Schüler oder Student für seine Lokalzeitung verdingt und regelmäßig Verhandlungen des Amtsgerichts besucht, kennt es: Der Tatvorwurf der Beleidigung von Polizisten gehört zu jedem ordentlichen Verfahren gegen einen Junkie oder Ladendieb dazu. Wir glauben es gerne, denn schließlich reicht dafür schon ein „Lasst mich in Ruhe“ aus: Anrede in der zweiten statt dritten Person heißt gemeinhin „Duzen“ und ist eine Beleidigung unter erwachsenen Menschen, die sich nicht näher kennen. Wie oft aber kommt es wohl umgekehrt vor, dass Polizeibeamte Bürger beleidigen? „Keine Ahnung.“ Wie viele Beschwerden gegen Polizisten gibt es? „Keine Ahnung.“ Warum sollten die Innenministerien auch zusammenzählen, was ihnen die Polizeipräsidien pflichtbewusst melden?

Was kostet eigentlich eine Verhandlung vor dem Amtsgericht im Durchschnitt? Für eine Kosten-Nutzen-Betrachtung der Rechtspflege keine ganz belanglose Frage. „Keine Ahnung, das ist doch völlig unterschiedlich“, raunzt der Pressesprecher eines Landesjustizministeriums am Telefon. Kaum zu glauben, wo die Länder z.B. die durchschnittlichen Kosten eines Hafttags bis auf den Cent kennen – schließlich berechnen sie sich die gegenseitig oder dem Bund, wenn Zuständigkeiten wechseln.

Wie hoch ist eigentlich die Staatsverschuldung? Sattsam bekannt sei das, doofe Frage also. Nein, nein, wir meinen nicht die 1,2 Billionen Euro, zu denen auch die Politik steht. Wir wüssten gerne die tatsächliche Zahl, so mit Schulden der Eigenbetriebe des Bundes, der Körperschaften öffentlichen Rechts – und mit den Zukunftsschulden, z.B. Pensionsansprüchen der Beamten. Also?

Politiker wissen es nicht. Wozu auch, sie haben die Ausgaben ja nur beschlossen. Also klauben wir zugängliche Informationen selbst zusammen, rechnen und spekulieren ein wenig. Damit kommt dann z.B. der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen (zwischenzeitlich als Mitglied der Rürup-Kommission gezähmt) auf etwa 100% mehr, als offiziell ausgewiesen. Aber wie soll man Politikern da böse sein, wenn sie es doch wirklich einfach nicht wissen?

(Der Text stammt aus unserer unwählbar-Kampagne 2005!)

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